Samstag, 15. Mai 2010

DAS THEATER ALS ORALISCHE ANSTALT

DAS THEATER
ALS ORALISCHE ANSTALT

liest sich wie eine kleine vorgeschichte
aus der frühzeit des rappens &
verleiht demselben vorträglich einen nahrhaften sinn

es ist eine bühnenwahrheit, dass jeder autor das theater neu für sich erfindet. Büchner ist so ein erfinder, brecht ein anderer, um nur zwei deutsche dramatiker mit B zu nennen.
paradox genug, gehört Brecht eigentlich ins neunzehnte und Büchner ins zwanzigste jahrhundert.
ich meine das so, daß Brecht auf der höhe der äste des baumes der sprache hantiert, während Büchner sich in der gegend der wurzeln abar-beitet.
diese ab-arbeit ist bereits die
des oralischen theaters oder die des theaters als einer oralischen anstalt.
ra-ra-rap. heute würde man sagen : der rapper hat das wort.
denn das wort ‚oral’ hat die stunde geschlagen.
der schlag der stunde geht für eine bühne, der bretter welt bedeuten, in die magengrube.
denn den brettern ist das deuteLn vergangen.
vorhang.
überhaupt hat die bühne sich aufgelöst, ganz
gleich, ob als guckkasten, drehbühne, doppel-decker oder freilichtraum. weil: sie hat sich von den akteuren ( spielern ) gänzlich auf die spektateure ( zuschauer ) verlagert, die durch ihr mitspiel zu spekta’K’teuren werden, die betonung liegt auf dem zweiten, sogenannten aktiv K.
bühne im zuschauerraum? neij.
zuschauerraum bühne? jein.
wir ( einzahl-wir – mehrzahl – ich ) wollen der frage gemeinsam mit dem besteck der zunge zu leibe rücken. die steigerung des kulinarischen theaters ist: das restaurant.
dem spekta’K’teur in der vielzahl läuft
wasser im munde zusammen, weil personen
& sachen in speichelflüsse gekommen sind. serviert wird in allen gängen mundgerecht: sprache.
als dialekt des gefühls ansteuernd gegen die hochsprache des verstands.
als regionale spezialität der seele.
da sind zum beispiel die entree: ein cham-pagner-sorbet, der plat de resistance: atlantikkrebse & bresse-hühner, das dessert: cremetorten & schnäpse.
so die speisenfolge der ersten vier szenen meiner ‚george sand’, frau in bewegung,
frau von stand.
im geschmack einem unterdrückten sinn
das wort erteilen, vom geruch der tabak- und haschisch-räucher-räusche sekundiert. sekundiert auch vom tastsinn oder takt, der
in den fängen des anfangs wer war & ganz
aus der mode zu kommen droht, dadurch daß einzahl-wir und mehrzahl-ich ihn überhaupt nicht mehr leiblich zu spüren vermögen.
vorhang.
durch den vorhang weht es wie durch einen waaaaald. ( vlado kristl ).
ra – ra - rapp.
das theater als oralische anstalt ist oral.
oralität bezeichnet im sinne der freud -lacanschen stufen der libido-entwicklung
eine regression auf die erste & niedrigste
von drei ( darunter zwei höheren ) stufen.
aller fortschritt ist regressiv, sagt wiesengrund.
dadurch wird dem oralischen theater – ra ra rapp – indirekt seine progressivität beschei-nigt.
oase in wüsteneien macht e s mit großem
‚E’ und gesperrtem ‚s’ eine im ausdörren begriffene sprache wie kapital, das zuvor fest angelegt war, flüssig.
artikulatorisches wohlgefallen an worten.
sie werden allemal, bevor verdaut, durchge-kaut. wortgelage. sprachschmaus.
man öffne die augen.
man reisse den mund auf.
vorhang.
das spiel beginnt im gehege der zähne unter dem harten gaumen.
die bühne ist weich wie pfühl.
der zungenteppich nass und kühl.
ein open-air-festival in betautem gras.
wortbrei zerdrücken. die geschmackspapillen und schmeckwarzen prüfen und stillen auf dem umweg über speiseröhre magen und gedärm – spieler mitspieler und zuschauer-appetit.
ra – ra - rap.
was die akteure und spektaKteure hinter dem wulstvorhang der lippen tun, ist brabbeln.
was sie lassen, plappern.
E s mit großem E und gesperrtem s spricht.
E s artikuliert sich.
E s gestikuliert.
E s ist im falle von george sand geschichtlich. E s antwortet auf die frage:
‚wie finde ich wieder stand und leiste so widerstand.’
nach einer gescheiterten beziehung, nach einer flucht aus der provinz, vor dem entschei-denden literarischen durchbruch undsoweiter-fort.
urgeschichte der moderne.
vorhang.
falsch. sondern:
moderne der urgeschichte.
vorhang.
richtig.
meiner geschichte als schriftstellerin, die demnächst bis zu ‚sappho in palma’ über gertrude stein den bach der zeit herunter-schwimmt, eurer geschichte als frauen, die an den festgeschriebenen örtern rütteln, unserer geschichte als mitspieler, die george sand immer erneut in den zeugenstand einberufen. das gaumentheater des mundes hat ein klaus heinrich - emblem: die bocca della verita.
ginka steinwachs

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen